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10. Mai 2021
Im Fussballstadion herrscht Ruhe, die Parkplätze sind fast leer, die Messehallen zu Impf- und Testzentren umfunktioniert. Einzig im Naturschutzgebiet herrscht reges Treiben. Ein Augenschein auf der Allmend im April 2021.

Benita Vogel, freischaffende Journalistin

Fabian Hodel zieht den Reissverschluss seiner Weste hoch und marschiert los. Vorbei an drei riesigen Steinbrocken. Hinein in das hügelige Areal mit Tümpeln, Wiesen und Hecken. Das Gras am Wegrand liegt plattgedrückt vom Aprilschnee am Boden. An den Bäumen am Bireggwaldrand schimmert ein schwaches Grün. «Die drei Findlinge sind ganz neu hier im Naturschutzgebiet», sagt der junge Mann. Fabian Hodel muss es wissen. Er kommt fast wöchentlich auf die Luzerner Allmend. Der 32-Jährige ist einer von 13 Rangern und Rangerinnen, die in Freiwilligenarbeit zwischen Natur und Besucherinnen und Besuchern vermitteln. «Ich gebe Auskunft über Tiere und Pflanzen, die hier vorkommen, über die Geschichte der Allmend und weise auch auf die geltenden Regeln hin», sagt der gelernte Milchtechnologe und ausgebildete Heilpflanzentherapeut. Er lerne dabei selber viel Neues über die Natur, sagt er und zeigt auf den Aufnäher an seiner beigen Weste. Die Gelbbauchunken seien nur ein Beispiel für die grosse Artenvielfalt auf der Allmend, wo das Militär bis vor 25 Jahren noch seinen Nachwuchs ausgebildet hatte.

Der Ranger muss an diesem milden Aprilvorabend nicht lange auf seinen ersten Einsatz warten. Ein frei laufender Hund trabt ihm entgegen, obwohl im Naturschutzgebiet Leinenpflicht herrscht. Der Ranger zeigt dem Hundehalter die Freilaufzone auf der Westseite der Allmend. «Die meisten Leute reagieren freundlich auf unser Intervenieren – nur wenige sind ablehnend oder aggressiv», so Fabian Hodel.

Mehr Leute und Abfall

Längst trifft er nicht mehr nur Hündeler, Spaziergängerinnen und Familien auf seinen Touren. «Viele junge Leute, Partygängerinnen und –gänger haben das Naherholungsgebiet ebenfalls für sich entdeckt.» Weil sie sich wegen der Coronapandemie nicht mehr in der Stadt treffen können. Monika Keller, Biologin und Verantwortliche für das Rangerprojekt beim städtischen Umweltschutz, bestätigt dies: «Die Coronapandemie lockt markant mehr Besucher und Besucherinnen auf die Allmend.» Vor allem während des Lockdowns im März 2020 habe es einen sprunghaften Anstieg gegeben. Die Ranger beobachten dies an «wilden Feuerstellen» und leeren Bierflaschen und anderem Abfall, den sie neuerdings in grösserer Menge im Naturschutzgebiet vorfinden. Dennoch überwiegt die Freude über dessen steigende Beliebtheit. «Die Leute tragen mehr Sorge zu den Dingen, die sie kennen», sagt Fabian Hodel. «Aber klar, Gespräche und viel Aufklärung sind notwendig.» Häufig ist der Ranger deshalb um die Feierabendzeit unterwegs. «Dann treffe ich oft am meisten Leute an.» Wie etwa die junge Frau, die es sich unweit vom Pfad im Gras auf einer Decke bequem gemacht hat. «Zur Schonung der empfindlichen Pflanzen- und Tierwelt ist es im Naturschutzgebiet leider verboten, diese ökologisch wertvolle Wiese zu betreten», sagt Hodel.

Allmend
Ein beliebter Treffpunkt für Hund, Frauchen und Herrchen: die Hundefreilaufzone auf der Westseite der Allmend.

Testen statt Ausstellen

Dort, wo die Swissporarena und die grossen Messehallen stehen, ist wenig vom Andrang im Grünen zu spüren. Das Hallenbad ist geschlossen. Im Fussballstadion herrscht Stille. Die Parkplätze davor sind fast alle frei. Ein Motorengeräusch stammt von einem ferngesteuerten Auto, das über den Asphalt des Messevorplatzes saust und um Skateboarder kurvt, die Sprünge üben. Auf der Absperrung vor der Glasfassade sitzt eine junge Frau mit knallig gelben Rollschuhen. Daneben prangt ein grosser oranger Pfeil mit der Aufschrift «COVIDTest Point». Durch die abgedunkelten Fenster sind zwei Gestalten in weissen Schutzanzügen zu sehen. Weiter rechts, vor den Hallen 3+4, hängt eine blaue Netzplane mit einer überdimensionalen weissen Spritze. «Die letzte Publikumsgrossveranstaltung fand vor über einem Jahr statt», sagt Markus Lauber, Geschäftsleiter der Messe Allmend AG. Anstatt Ausstellungen und Events auszurichten, organisiert das Unternehmen den Betrieb des Impfzentrums. Nicht nur das Messegeschäft leide. «Auch der Fussball, der Freizeitsport und die Kultur – alles ist eingeschränkt.» Zwar seien vereinzelt Individualsportler anzutreffen, etwa auf der neuen Langlaufloipe im Winter. «Aber die Allmend ist dafür geschaffen, dass sich viele Leute treffen.»

Der Chef der Messe Luzern hofft nun, dass die Leute und das Leben bald auf das Messe- und Sportgelände zurückkehren. Ab Herbst, so erwartet Markus Lauber, sollten grössere Veranstaltungen erneut stattfinden können – auch auf den Aussenplätzen, wo im Frühling sonst jeweils die Zelte und der Luna-Park der Luga stehen.

Allmend
Die letzte Publikumsgrossveranstaltung in der Messe Luzern fand vor mehr als einem Jahr statt. Jetzt hoffen die Verantwortlichen auf den Herbst.

Genug Platz und Abstand

Dort ganz in der Nähe, auf der Sportwiese vor der ehemaligen Pferderennbahn-Tribüne, spielen Matthias Paul und seine Tochter Fussball. «Seit dem Lockdown im März vergangenen Jahres kommen wir etwa einmal in der Woche hierher», sagt er. Er wundert sich, dass es nicht voller ist auf der Allmend. Zwar liessen ab und zu Leute ihre Modellflieger oder Drachen steigen. «Aber man kann hier die Abstandregeln stets gut einhalten», sagt der Arzt. Er schätze das sehr, ebenso wie die tolle Aussicht auf die Berge, die man hier bei schönem Wetter geniessen könne.
Auch dem Ranger Fabian Hodel gefällt der Anblick von Stanserhorn, Pilatus und Rigi. Er ist auf seiner Tour inzwischen bei den alten Grenz-Eichen angekommen. «Sie sind ein ‹Hochhaus für Tiere›, insbesondere für Fledermäuse», erklärt er.

«Hier bin ich richtig»

Die noch fast kahlen Äste lassen einen vagen Blick auf das nahe gelegene Freigleis und die Umrisse der vielen Velofahrerinnen zu, die vorbeiflitzen. Weiter geradeaus, bei einer nächsten Baumreihe, beginnt die Hundefreilaufzone. Ein weisser Schäferhund rennt über die niedrigen Wälle. Andere Hunde tun es ihm gleich. Weitere stehen nur da, mit der Schnauze im Gras. Leute sitzen auf Baumstämmen, reden und schauen dem Treiben zu. Auch der Entlebucher Sennenhund und sein Halter, denen Ranger Hodel ohne Leine im Naturschutzgebiet begegnet war, sind hier. Er winkt dem Ranger zu und ruft: «Hier bin ich richtig, oder?» Fabian Hodel nickt und marschiert Richtung Eichwäldli weiter. Für heute will er seine Tour dort beenden.

Allmend
Ranger Fabian Hodel und die für das Rangerprojekt Verantwortliche Monika Keller vom Umweltschutz registrieren markant mehr Besucherinnen und Besucher auf der Allmend.

 

Gemeingut

Als Allmenden werden seit dem Mittelalter Weiden-, Wald- und Ödlandflächen bezeichnet, die als Gemeingut von den dazu berechtigten Bewohnern eines Dorfes oder einer Stadt gemeinsam genutzt werden. Die Luzerner Allmend, auch Bürgerallmend genannt, gehörte seit dem Mittelalter zum Gemeingut der Stadt Luzern. Alle Einwohnenden mit Stadtbürgerrecht waren damals Teil der sogenannten Allmend- oder Korporationsgemeinde und profitierten damit von den Einkünften aus deren Nutzung.

Allmend im Wandel

Wo die Luzerner vor 500 Jahren ihr Vieh weideten und Bäume für Bauvorhaben pflanzten, richtete die Armee vor knapp 200 Jahren einen Waffenplatz ein. Die militärische Nutzung ist mit ein Grund, weshalb ein grosser Teil des Areals unbebaut ist. Mit der Zeit wurde die Allmend zum Sport- und Unterhaltungs- sowie zum Naturschutzgebiet.
Quelle: «Die Ursprünge der Luzerner Allmend», Stadtarchiv Luzern, 2008

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