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15. Mai 2023
Norma Gnos hat einen ungewöhnlichen Nebenjob. Sie hilft im Urnenbüro der Stadt Luzern mit. Die 30-jährige Logopädin bekommt hier immer wieder mehr oder weniger originelle Wahlvorschläge und auch Kommentare zu den Kandidierenden zu Gesicht.

Eine braune Schnauze taucht neben dem Türrahmen auf. Kurz darauf sind ein dunkelbraunes Wuschelfell und grüne Knopfaugen zu sehen. «Meilo, komm!», tönt es aus dem Raum. Der Hund macht rechtsumkehrt und trabt durchs Zimmer – vorbei an einem grünen Spielteppich und Regalen, gefüllt mit bunten Schachteln, einer Spielkasse, Einkaufskörbchen, Legos und Holztieren. Er stoppt beim Schreibtisch. Daneben steht Norma Gnos, sie hält dem Hund die Hand entgegen.

Titelbild: Norma Gnos war mit 18 Jahren erstmals im Einsatz im Urnenbüro der Stadt Luzern. Neben dem willkommenen Zustupf in die Ferienkasse weckte diese Arbeit ihr Interesse an politischen Prozessen und an der Politik.

Die 30-jährige Luzernerin arbeitet hier normalerweise mit Kindern und Jugendlichen an der Sprache. Meilo, ein Labradoodle, eine Mischung aus Pudel und Labrador, ist fast immer dabei. Heute erzählt die Logopädin in ihrem Büro, das aussieht wie ein Spielzimmer, aber von einem ganz anderen Job. Norma Gnos arbeitet nämlich nebenbei im Urnenbüro der Stadt Luzern. An Abstimmungs- und Wahlsonntagen kontrolliert, sortiert und zählt sie dort gemeinsam mit anderen Stadtluzernerinnen und -luzernern Wahl- und Abstimmungsunterlagen (siehe ganz unten).

Der Job der Mutter
«Meine Mama hat mich auf den Nebenjob aufmerksam gemacht, damit ich mein Sackgeld aufbessern konnte.» Ihre Mutter arbeitet bei der Stadt Luzern und bekam damals mit, dass neue Mitglieder fürs Urnenbüro gesucht wurden. Damals war Norma Gnos 18 Jahre alt. «Ich habe mich zusammen mit einer Kollegin angemeldet, und wir wurden für vier Jahre gewählt.» Die allererste Aufgabe fasste

Norma Gnos im Erfassungsbüro. «Ich tippte Codierungsnümmerli der Wahllisten in den Computer.» Dies sei nötig, wenn Wählerinnen und Wähler die Listen von Hand ausfüllen oder ändern. «Dann fehlen meistens die Codes, die jeweils auf der Liste, vor den Namen der Kandidierenden, stehen.» Zuerst würden die Codes ergänzt, danach kämen die Listen eben ins Erfassungsbüro, um die Daten im Computer zu erfassen.

Damit war Norma Gnos schon mitten in der Arbeit. Sowieso geben Wahlen, wie jüngst die Kantons- und Regierungsratswahlen, viel zu tun. In rund zehn Auszählgruppen sind um die 120 Leute ein ganzes Wochenende lang im Einsatz. Sachabstimmungen benötigen weniger Personal. «Die Kreuzchen auf den Stimmzetteln werden elektronisch ausgezählt», erklärt Gnos.

In Kontakt mit vielen Menschen
In den elf Jahren im Urnenbüro habe sie fast schon jede Aufgabe erledigt. Nach einigen Jahren als Stimmenzählerin ist sie zur Präsidentin aufgestiegen, welche eine Auszählgruppe leitet und die Arbeiten überwacht. Seit diesem Jahr ist sie zusammen mit einer anderen Person in der Wahlzentrale tätig. Diese ist sozusagen die Schaltstelle des Urnenbüros. Von hier aus werden etwa die grünen Kuverts mit Wahl- und Stimmzetteln zur Auszählung verteilt und Resultate gesammelt. «Mit der Arbeit hier erhalte ich einen Überblick über die ganze Tätigkeit des Urnenbüros.»

Interessant sei die Arbeit im Urnenbüro nicht nur inhaltlich. «Ich komme auch mit vielen spannenden Menschen in Kontakt, die ich sonst wohl nicht treffen würde.» Im Urnenbüro arbeiten 120 Vertreterinnen und Vertreter verschiedener Parteien sowie Parteilose. Norma Gnos gehört zu Letzteren. «Mir ist es lieber so», sagt sie dazu nur.

Beleidigungen und Pannen
In all den Jahren im Urnenbüro hat die junge Frau auch schon einiges erlebt. Beispielsweise Fantasienamen auf Blankolisten: «Wenn ‹Mickey Mouse› auf der Wahlliste steht oder ‹Donald Trump›, sind die leider ungültig.» Auch Kommentare wie «Dummkopf» seien manchmal zu lesen. «Beleidigungen kommen nicht oft vor, aber wenn, dann lösen sie schon Diskussionen aus.» Wie sie gemeint seien und wem sie gelten.

Für Gesprächsstoff sorgen auch Pannen, etwa wie kürzlich diejenige in Baselland, wo zwei Parlamentarier irrtümlich gewählt wurden, weil die Behörde falsch gerechnet hatte. «Klar, Fehler können immer passieren. Und es ist sehr ärgerlich, wenn man sie zu spät entdeckt», sagt Gnos. Um Irrtümer zu verhindern, gelte das Vieraugenprinzip. «Wir arbeiten in Zweierteams, um das Vieraugenprinzip zu gewährleisten. Es wird auch alles immer zweimal überprüft und gezählt», so Gnos. Daneben gebe es systematische Kontrollen und Stichproben, um Fehler zu verhindern.

Schon vorgekommen sei es, dass Resultate zu früh nach aussen drangen. Wie das passiert sei, kann sie sich nicht erklären. Alle Anwesenden seien zur Geheimhaltung angewiesen. «Stimm- und Wahlresultate kann man während der Auszählung nicht einschätzen – weil man nie das Gesamtbild hat.» Auch wer wie wählt oder abstimmt, sehen die Mitarbeitenden im Urnenbüro nicht. «Die Stimmrechtsausweise mit der Unterschrift werden kontrolliert, bevor die grünen Stimmkuverts geöffnet werden. Die Anonymität ist garantiert.»

Keine Politkarriere
Für die Aufgabe im Urnenbüro seien Zuverlässigkeit und Sorgfalt wichtige Eigenschaften. «Auch exakt arbeiten und klar kommunizieren spielen eine wichtige Rolle», sagt Norma Gnos. Sie sei durch den Nebenjob für das politische Geschehen sensibilisiert worden und hinterfrage stärker, was in der Politik passiere. Und bei bestimmten Sachabstimmungen sei sie manchmal richtig gespannt auf das Resultat. So kann sie sich noch gut an die Abstimmung über die Masseneinwanderungsinitiative erinnern. Selbst in die Politik einsteigen möchte sie aber nicht. Die Motivation für die Aufgabe sei vielmehr der spannende Einblick – und nach wie vor der finanzielle Zustupf. 40 Franken pro Stunde gibt es für Präsidentinnen und Präsidenten. Das Geld landet meist im Ferienkässeli. «So habe ich mir beispielsweise eine Reise nach Malaysia finanziert.»

Meilo soll Therapiehund werden
Solange sie Zeit hat, möchte sie im Urnenbüro weiterhin arbeiten – nebenher versteht sich. Ihr Hauptjob, die Logopädie, macht ihr nämlich die grösste Freude: «Die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen bereitet mir viel Spass.» Und bald möchte sie mit ihrem anderthalbjährigen Labradoodle Meilo die Ausbildung zum Therapiehund absolvieren. Dieser hat seine Schnauze inzwischen auf seine Pfoten gelegt und döst auf seinem Liegeplätzchen.

Benita Vogel
Freie Journalistin

 

Parlament wählt Urnenbüro
120 Personen aus der Stadt Luzern sind im Urnenbüro tätig. Die Zusammensetzung wird aufgrund der Parteistärken aus den letzten städtischen Wahlen ermittelt. Neben 70 Vertreterinnen und Vertretern der Parteien sind 50 Parteilose im Urnenbüro tätig. Sie werden auf Vorschlag des Stadtrates vom Grossen Stadtrat gewählt, jeweils für vier Jahre.

Organisation
Das Urnenbüro besteht aus einer Wahlzentrale, Auszählgruppen oder Auszählbüros. Aufgabe der Mitglieder ist das Sortieren, Auszählen und Kontrollieren. Die Präsidien leiten die Auszählbüros, überwachen die Auszählung, leiten die Mitglieder an und helfen beim Zählen. Mitglieder erhalten 30 Franken pro Stunde, Präsidentinnen und Präsidenten 40 Franken.

Aufgaben
Die Arbeiten im Urnenbüro sind umfangreich. Stimmrechtsausweise in grossen Kuverts herausnehmen und auf Gültigkeit kontrollieren. Grüne Kuverts mit Stimm- und Wahlzetteln an die Auszählgruppen verteilen, Kuverts öffnen, Wahllisten sortieren, kontrollieren und auszählen. Sachabstimmungen benötigen weniger Personal, weil die Stimmzettel elektronisch bzw. mit einem Scanner ausgezählt werden.

Geheimhaltung und Qualitätskontrolle
Die Mitglieder des Urnenbüros unterliegen der Geheimhaltungspflicht. Alle Arbeiten werden im Vieraugenprinzip durchgeführt und zweimal kontrolliert, um Fehler zu vermeiden.

 

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