Kopfzeile

Inhalt

Am 25. Mai 1849 trug die Stadt Luzern die letzten Reste des Lederturms beim Grendel ab. Das ehemalige Untersuchungsgefängnis hatte ausgedient und passte nicht mehr ins Bild einer modernen, sich zum See öffnenden Fremdenstadt.

Die bis heute erhalten gebliebene Museggmauer ist nur ein Teil der ehemaligen Stadtbefestigung. Zwei Ringe umschlossen das mittelalterliche Luzern. Auf der Reuss- und Seeseite ergänzten die Holzbrücken die mit Türmen und Toren versehenen Mauern und die Stadtgräben. Mit der Stadtwerdung Luzerns in den Jahren um 1220 setzte der Bau des inneren Mauerrings ein, Ende des 13. Jahrhunderts dürfte er abgeschlossen gewesen sein. Bis Anfang des 15. Jahrhunderts waren der Bau der Kapellbrücke (um 1365) sowie der zweite Mauerring mit der Museggmauer (ca. 1370–1408) und der Sentimauer vollendet.

Der Bau einer Stadtmauer diente nicht nur dem Schutz vor unerwünschten Eindringlingen oder gar Angriffen. Sie fungierte auch als rechtliche Grenze, Statussymbol, als Ausdruck städtischer Vormachtstellung sowie zur Sicherung der eigenen Wirtschaft. Bis 1835 erhoben Stadtwächter beim Baslertor und dem äusseren Weggistor Torzölle – eine willkommene Einkommensquelle. Viele Türme fanden als Untersuchungsgefängnisse oder als Wachtürme Verwendung. Auf den Türmen der Musegg und des Rathauses versahen acht Hochwächter ihren Dienst und schlugen bei Feuerausbrüchen Alarm. Mit dem militärischen, politischen und wirtschaftlichen Wandel verloren Stadtbefestigungen nach und nach ihre Funktionen. Nicht nur in Luzern wurden sie als alter Zopf oder Verkehrshindernis wahrgenommen und grösstenteils im 19. Jahrhundert geschleift. Einzig die Verwendung der Türme als Untersuchungsgefängnisse vermochte diese Entwicklung noch etwas zu verzögern.

Luzerns Entfestigung begann 1738 mit der Niederlegung des Ketzer- oder Hexenturms am Hirschengraben. Der damals noch offene Krienbach trat häufig über seine Ufer und hatte dem Turm stark zugesetzt. Auch der vor dem Baslertor an der Reuss gelegene Judenturm befand sich durch seine Stellung am Wasser in einem schlechten Zustand und wurde 1771 niedergelegt. Die Zufahrten und engen Passagen durch die Stadttore waren besonders an Markttagen häufig blockiert. Sentitor und Sentimauer waren die ersten Verkehrsopfer, 1833 liess sie der Stadtrat abreissen, um die Zugangsstrasse zu verbreitern. Das Ledertor, das Hoftor und ein erster Teil der Hofbrücke folgten 1834, um Luzern zum See hin zu öffnen und Platz für den Neubau des Hotels Schwanen zu schaffen. Ins Bild der aufstrebenden Stadt passten die alten Türme und Mauern nicht mehr. Der Abbruch des Lederturms 1849 markiert den Beginn der grossen Entfestigungswelle bis 1867. Dieser Turm stand wie auch der Rosengartenturm quer zur Baulinie des Grendels und wurde darum entfernt. Häufigster Grund für die Turmschleifung war jedoch der Verkehr, wie beim Burgertor, das die Zufahrt zum neu erstellten Bahnhof behinderte.

Mit der Entfestigung verfolgte man auch die Absicht, dass an die Stelle schattiger, feuchter Gassen breite Strassen treten sowie Licht und Luft durch die Stadt strömen sollten, um die Gesundheit der Bevölkerung zu verbessern. Auch die Untersuchungsgefangenen sollten ein menschenwürdigeres Dasein fristen dürfen. Während für die verurteilten Sträflinge an der Baselstrasse schon 1839 eine neue Strafanstalt bereitstand, warteten die Untersuchungshäftlinge weiterhin in feuchten Kerkertürmen auf ihren Prozess. Dem Bau des kantonalen Zentralgefängnisses am Löwengraben ging ein Hickhack voraus zwischen der Stadt als Besitzerin eines Grossteils der Türme und dem Kanton als Nutzer und vollziehende Gerichtsbehörde. Nach der Bezahlung einer Abfindungssumme durch die Stadt konnte 1860 bis 1862 das neue Untersuchungsgefängnis gebaut und die Türme abgerissen werden. Bloss 13 der ursprünglichen 31 Türme und Tore stehen heute noch. Von den zugeschütteten Stadtgräben zeugen lediglich noch die Strassennamen Hirschengraben, Löwengraben und Grabenstrasse.

Ende des 19. Jahrhunderts war die eigentliche Entfestigung abgeschlossen. Im 20. Jahrhundert wurden die nach einem Brand übrig gebliebenen Reste des Gütschturms abgetragen. Die zwei letzten Verluste zeugen aber wiederum von mangelnder Wertschätzung, die Objekte wurden absichtlich aus dem Weg geräumt: 1949 musste der Freienhof einem modernen Bibliotheksbau Platz machen, der jedoch schliesslich andernorts verwirklicht wurde (vgl. Bildergalerie zum Theater und seinem Platz in Luzern). Und ein letztes, kleineres Stück Stadtmauer fiel in den 1970er Jahren beim Abbruch der Kaserne der neuen Fussgängerführung zwischen Spreuerbrücke und Naturmuseum zum Opfer: Die weiten Bogenöffnungen des Herrenkeller-Gewölbes, die aussehen, als wären sie im 16. Jahrhundert entstanden, datieren von 1976/77.

Die Museggmauer überstand die Entfestigung. Als freistehendes Bauwerk im Norden der Stadt behinderte sie weder Verkehr noch Luft oder Licht und ihre markante Silhouette prägt das Ortsbild der Innenstadt bis heute in besonderer Weise. Der Stadtrat erkannte ihren historischen und ästhetischen Wert, gerade auch in touristischer Hinsicht, und beschloss 1864 ihre Sanierung und langfristigen Erhalt. Lediglich das östliche Ende wurde abgetragen und eine Öffnung für die Museggstrasse geschlagen.

Ab den 1950er Jahren liess der Stadtrat die mittelalterliche Museggmauer Instand setzen, um sie für die Öffentlichkeit zu erschliessen. Der Schirmerturm und ein Stück der angrenzenden Ringmauer machten den Anfang, heute sind weitere Abschnitte begehbar. Neben der Museggmauer finden sich in Luzerns Innenstadt aber noch andere Elemente der mittelalterlichen Stadtbefestigung. Die bekanntesten sind der Wasserturm, die beiden gedeckten Holzbrücken, die Spreuer- und die Kapellbrücke, sowie der Baghards- oder Zurgilgenturm. Versteckter sind zwei weitere Relikte: Das Mühlentor zwischen dem Löwengraben und dem Mühlenplatz fällt neben den Nachbarsgebäuden kaum auf, während der Frauenturm am Hirschengraben gar in ein Gebäude, das heutige Mittelschulzentrum, integriert ist.

Das Stadtarchiv Luzern erinnert am 175. Jahrestag der Lederturm-Schleifung an die mittelalterliche Stadtbefestigung und zeichnet deren Abbruch im Rahmen einer Bildgalerie nach.

Die Stadt Luzern präsentierte sich bis ins 18. Jahrhundert als geschlossenes Ganzes. Die Stadt war durch einen äusseren und einen inneren Befestigungsring geschützt. Türme und Tore, Stadtgräben und Brücken bildeten ein ganzes System. Der Ketzerturm diente als Verlies. Er war nach Gewittern dem reissenden Krienbach ausgesetzt. Eine Flut, ähnlich der abgebildeten, setzte ihm 1738 so sehr zu, dass er abgerissen werden musste. Die Obrigkeit liess den vor der Stadtmauer stehenden Judenturm 1771 wegen Baufälligkeit niederlegen. Im Hintergrund ist der Bau der Museggmauer und der Spreuerbrücke dargestellt. Das Sentitor wurde im Frühjahr 1833 mitsamt der Sentimauer abgerissen, um Platz für den Verkehr zu schaffen. Diese wissenschaftliche Illustration basiert auf verschiedenen Quellen zum Tor. Vor dem Bau des Quais diente der Freienhof (Bildmitte) als Brückenkopf. Stadtauswärts wurden die Brüstungen der Luzerner Wehrbrücken zur Verteidigung höher gebaut, was sich heute noch ablesen lässt. Das Hoftor stand der freien Sicht auf den See im Weg. Das städtische Bauamt liess es 1835 niederlegen, zusammen mit einem ersten Teil der Hofbrücke. Die letzten Turmreste wurden im Mai 1849 abgetragen. Vor Auffüllung/Überdeckung bildeten Grendel, Grabenstrasse und Löwengraben den nördlichen Stadtgraben. Am rechten Bildrand: der Rosengartenturm. Ursprünglich führte die Hofbrücke über den sumpfigen Uferbereich zur Hofkirche. Mit der Aufschüttung des Schweizerhofquais wurde sie bis 1852 in vier Schritten abgetragen. Die Krienser Marktfahrer passierten die städtischen Ringmauern bis 1856 am Ober- oder Kriensertor. Im Hintergrund die beiden Türme vor dem Franziskaner- oder Barfüesserkloster, 1857 abgebrochen. Der Kesselturm beherbergte bis 1857 die meisten Gefangenen, darunter auch den Freischarenführer Dr. Jakob Robert Steiger, der in seiner Haft das abgedruckte Gedicht verfasst hatte. Touristisch vermarktet wurde (nicht mehr nur) die Rigi – das Tor war als kurioses Sujet immerhin ein Stereofoto wert. Das angrenzende Stück Mauer musste Häusern an der Museggstrasse weichen. In der «Bastille von Luzern» waren sechs Käfige untergebracht. Man fürchtete, das «Scheusal der ganzen Umgebung» beim Falkenplatz stelle für die Touristen ein Ärgernis dar und riss es 1862 nieder. Das Luzerner Tagblatt bezeichnete den Haberturm als «Menschenquäler und Tränenpresser», dem niemand nachtrauere. Rechts das heute noch am Kasernenplatz stehende Anderallmend-Haus. Nr. 47: Aufgrund seiner versetzten Lage hinderte der Rosengartenturm die harmonische Bebauung des Grendels und musste 1863 der Bierbrauerei «Zum Rosengarten» weichen. Nr. 58: Das Graggentor beherbergte das erste Uhrwerk der Stadt Luzern, bis dieses um 1403 in den neu erbauten Zytturm auf der Musegg verlegt wurde. Es gewährte bis 1864 am Stadtgraben Einlass in die Stadt. Nach seiner Schleifung 1864 kamen Zweifel auf, ob die Beseitigung der Stadttore ein Gewinn darstellte. 
Die an den Turm angebaute Suidtersche Apotheke wurde 1906 neugotisch umgestaltet.
Die Überreste der 1867 gemeinsam mit dem Bruchtor niedergelegten Litzimauer benutzte die Stadt direkt als Baumaterial zur Auffüllung des vorgelagerten Unteren Hirschengrabens. Das Kropftor befand sich am Oberen Hirschengraben und schirmte die Kleinstadt Richtung Kriens ab. 1891 wurde es für den Neubau der Kantonsschule abgebrochen. Das Türmchen, später auch Bürgerziel oder Känzli genannt, war ab 1830 ein Ausflugscafé. Es brannte 1921 ab und wurde nicht mehr aufgebaut. Sein Fundament dient bis heute als Aussichtsplattform. Der Freienhof, ehemaliger mittelalterlicher Brückenkopf der Kapellbrücke zwischen Bahnhofstrasse und Oberem Hirschengraben, war der letzte grosse Verlust an Befestigungswerken in der Stadt. Dieses Denkmal stand nicht im Weg und durfte bleiben. Die Museggmauer überstand Luzerns Entfestigung dank ihrer Lage abseits von Verkehr und Siedlung. Blick von Allenwinden auf die Stadt. Ab den 1950er Jahren liess die Stadt Luzern Teile der Museggmauer instand stellen und machte diese streckenweise der Öffentlichkeit zugänglich. Der Mühlenplatz ist bis heute über das historische Tor mit dem Löwengraben verbunden. Es vermittelt stellvertretend für die abgerissenen Tore einen Eindruck von den engen Tordurchfahrten. Das benachbarte Frauenhaus diente der Erziehung «liederlicher» Frauen und gab dem Turm seinen Namen. Er war Teil der Befestigung am Hirschengraben und gehört heute zum Mittelschulzentrum. Der Rathausturm war Wacht- und Beobachtungsturm und gehörte nicht zur Stadtbefestigung im engeren Sinne. Als Archivraum war er Hort der Rechtssicherheit und diente so mehr dem inneren Frieden.