Bild oben: Christina Reusser beim Bahnhof, einem Treff- und auch Brennpunkt. Sie und ihre Teams kennen die Herausforderungen von Jugendlichen. Reusser ist überzeugt: Es braucht mehr Gewaltprävention bereits bei Kindern ab 7 Jahren.
Interview von Luca Wolf
Christina Reusser, die Stadt hat auf Instagram eine Kampagne gegen die steigende Jugendgewalt lanciert. Wie schlimm ist die Entwicklung?
Wir haben im Rahmen unserer Fachgruppe Früherkennung festgestellt, dass die involvierten Fachstellen wie die Familien- und Jugendberatung Contact (www. contactluzern.ch) zunehmend mit verschiedenen Formen von Jugendgewalt konfrontiert sind. Besonders betroffen sind 10- bis 14-Jährige. Die Zunahme ist auch schweizweit zu beobachten. Deshalb haben wir die Kampagne «Gwaltig denäbe» lanciert. Mit den Videos wollen wir Betroffene sensibilisieren: Sie sollen wissen, wo sie Hilfe bekommen, und diese auch in Anspruch nehmen.
Wie konkret spüren die Fachstellen den Anstieg der Jugendgewalt?
Sie treffen immer öfter auf Jugendliche ohne Perspektiven und / oder mit suizidalen Gedanken an. Im Verlauf der Beratung zeigt sich dann häufig, das Mobbing, Sexting – also das illegale Verbreiten von Nacktbildern oder Nacktvideos – oder körperliche Gewalt die Ursachen sind. Wissen wir von solchen Übergriffen, motivieren wir die Betroffenen unter anderem, sich bei der Opferberatungsstelle zu melden.
Warum nimmt Jugendgewalt wieder zu?
Dafür gibt es diverse Erklärungsansätze: vermehrter Medienkonsum, problematische Vorbilder im nahen Umfeld, unstrukturierte Freizeitgestaltung, vermehrte Gruppenbildung. Unsere diesjährige Fachtagung widmet sich diesen Fragen.
Wie gelingt es, an die Betroffenen heranzukommen, bevor sich deren Situation verschlimmert?
Es ist wichtig, nahe am Alltag der Jugendlichen zu sein. Ich denke da an die Angebote der offenen Kinder- und Jugendarbeit, der Schulsozialarbeit, der Lehrpersonen, aber auch der Jugendkulturhäuser oder von SIP (Sicherheit Intervention Prävention).
Was lösen Mobbing, Sexting, Gewalt bei Betroffenen aus?
Scham und das Gefühl, selber an den Übergriffen schuld zu sein oder versagt zu haben. Es ist wichtig, dass die Betroffenen sich jemandem anvertrauen, die Geschehnisse verarbeiten und Strategien im Umgang damit finden. Wenn dies nicht gelingt, können selbstverletzendes Verhalten, emotionaler Rückzug bis hin zu Suizidgedanken die Folge sein. Deshalb sollen Bezugspersonen solche Veränderungen mit den Betroffenen rasch ansprechen.
Was braucht es noch, um Jugendgewalt einzudämmen?
Es benötigt definitiv weitere Anstrengungen. Aus meiner Sicht braucht es etwa mehr Gewaltprävention für Kinder bereits ab 7 oder 8 Jahren. Ich bin überzeugt: Je früher wir ansetzen, umso weniger Übergriffe gibt es später.