Bild oben: Manuela Jost und Fabian Peter sind sich einig: «Die Zentralschweiz wartet seit über 50 Jahren auf einen Ausbau der Bahninfrastruktur: Jetzt ist Luzern am Zug.»
Interview: Urs Dossenbach
Mit welchen Verkehrsmitteln sind Sie im Alltag unterwegs?
Manuela Jost: In der Stadt Luzern bin ich fast immer zu Fuss, ab und zu mit dem Bus unterwegs. Für weitere Strecken nehme ich den Zug.
Fabian Peter: Zur Arbeit fahre ich meist mit dem Elektroauto oder mit dem öffentlichen Verkehr. Für lange Strecken, zum Beispiel nach Bern oder ins Tessin, nehme ich den Zug. Und ich freue mich immer, wenn die Zeit für eine Velotour reicht.
Das richtige Verkehrsmittel zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Sie scheinen beide gut voranzukommen. Braucht es da tatsächlich noch ein Mammutprojekt wie den Durchgangsbahnhof Luzern?
Manuela Jost: Wir planen und bauen den Durchgangsbahnhof ja nicht für uns, sondern für die nächsten Generationen. Bereits heute wird der Bahnhof von 100’000 Reisenden pro Tag benutzt. Täglich fahren bis zu 700 Züge über die zweigleisige Strecke beim Gütsch in den Bahnhof hinein und wieder heraus. Die Kapazitätsgrenze ist erreicht. Ein Angebotsausbau ist nicht mehr möglich.
Fabian Peter: Unsere Bevölkerung wächst, die Infrastruktur kommt an ihre Grenzen, und wir warten seit über 50 Jahren auf einen grösseren Ausbau in der Bahninfrastruktur. Schon bei der Bahn 2000, beim Bau der NEAT und beim Ausbau des Hochgeschwindigkeitsnetzes wurde Luzern immer wieder vertröstet. Der Durchgangsbahnhof ist die Lösung. Ohne das Jahrhundertprojekt droht uns Stillstand und Rückschritt – wir werden sprichwörtlich abgehängt. Unser Ziel ist, die Mobilität klimaneutral und ressourcenorientiert zu gestalten. Dank des Durchgangsbahnhofs wird es gelingen, den öffentlichen Verkehr massiv auszubauen und das zu erwartende Mobilitätswachstum auf der Schiene zu bewältigen und somit auch den Strassenverkehr zu entlasten.
Was bringt der Durchgangsbahnhof Luzern konkret?
Fabian Peter: Noch ist das konkrete Angebot – also der künftige Fahrplan – nicht bekannt. Der Durchgangsbahnhof schafft aber die Voraussetzungen für ein dichteres S-Bahn-Netz mit dem in der Zentralschweiz langersehnten Viertelstundentakt im Regionalverkehr. Auch der Halbstundentakt nach Basel oder Bern und ein Viertelstundentakt nach Zürich sind möglich. Der Durchgangsbahnhof ist somit das Schlüsselelement für den Ausbau der Kapazitäten im öffentlichen Regional- und Agglomerationsverkehr. Mit dem Durchgangsbahnhof schaffen wir aber auch auf der Nord-Süd-Achse wieder bessere Verbindungen via Luzern. Das Tessin rückt näher. Der Fahrzeitengewinn zwischen Deutschland, Basel und Mailand beträgt rund 20 Minuten. Damit ist die Nord-Süd-Verbindung via Luzern schneller als via Zürich. Dies schafft eine attraktive Alternative zur Verbindung über den stark frequentierten Hauptbahnhof Zürich.
Manuela Jost: Eine gute Erreichbarkeit ist Grundvoraussetzung für die Standortattraktivität unseres Lebens-, Wohn- und Wirtschaftsraums. Das gilt für die Zentralschweiz, für den Kanton Luzern, die Agglomeration und auch für die Stadt. Damit die Stadt Luzern ein starker Wirtschaftsstandort, eine beliebte Tourismusdestination und ein renommierter Kulturplatz bleiben kann, braucht es den Durchgangsbahnhof. Für uns wird sich zudem die Möglichkeit ergeben, den Raum um den Bahnhof attraktiv zu gestalten, den Bahnhof besser zugänglich zu machen und die Aufenthaltsqualität zu erhöhen.
Fabian Peter: Was entgegnen Sie dem Vorwurf, dass vom Durchgangsbahnhof vor allem die grossen Zentren profitieren?
Fabian Peter: Auch aus der Region – aus dem Seetal oder aus dem Entlebuch – werden deutlich mehr Züge nach Luzern verkehren. Zudem besteht die Möglichkeit, die Linien zum Beispiel von Willisau ins Rontal zu verbinden. Dank dieser direkten Linien entfallen in Luzern das Umsteigen und das Warten auf den Anschlusszug. Es ergeben sich auch neue Voraussetzungen für die Vernetzung von Bus und Bahn. Dank des Ausbaus der sogenannten Verkehrsdrehscheiben oder Bushubs, wie sie beispielsweise in Ebikon, Sursee, Emmenbrücke oder Horw geplant sind, profitieren auch Gemeinden ohne direkten S-Bahn-Anschluss – wie zum Beispiel Inwil – vom Durchgangsbahnhof.
Und die Stadt Luzern muss im Gegenzug eine über zehnjährige Grossbaustelle über sich ergehen lassen?
Manuela Jost: Die Stadt setzt alles daran, dass die Bauzeit möglichst stadtverträglich gestaltet wird. Der Bahnhof und somit die Innenstadt sollen für alle Verkehrsteilnehmenden erreichbar bleiben. Die Zugänge zum Bahnhof und das Umsteigen müssen gewährleistet sein. Die Freiräume sollen erhalten bleiben. Mit diesem Anliegen ist die Stadt aber nicht alleine. Auch der Kanton und die SBB helfen tatkräftig mit. Das neue Verfahren, das die SBB für die Seeunterquerung plant, verkürzt die Bauzeit gegenüber den ursprünglichen Plänen deutlich. Da das Seebecken nicht mehr abschnittsweise trockengelegt werden muss und die meisten Bauarbeiten im Untergrund stattfinden, haben die Arbeiten zudem weniger Auswirkungen auf das Stadtbild und die Sehenswürdigkeiten. Das ist für den Tourismus sehr wichtig. Die Zusammenarbeit zwischen den Partnerinnen und Partnern funktioniert ausgezeichnet Das gilt auch für den Bereich Heimbach, wo die Züge aus dem Tiefbahnhof in die Stammlinie einmünden werden. Obwohl noch völlig offen ist, welche Eingriffe dort nötig sind, haben die SBB und wir die Anwohnenden an einer Veranstaltung gemeinsam informiert. Wir haben den Stand der Planungen aufgezeigt und dem Quartier versprochen, es in die weitere Planung einzubeziehen.
3,3 Mia. Franken kostet der Durchgangsbahnhof. Das ist viel Geld. Zudem steht das Projekt in Konkurrenz zu weiteren Grossprojekten in anderen Regionen. Der Bund prüft deshalb eine Etappierung. Kein gutes Zeichen für Luzern und die Zentralschweiz…
Fabian Peter: Wir müssen alles daransetzen, dass es möglichst rasch vorwärtsgeht, dass die Finanzierung mit der Botschaft 2026 als Ganzes beschlossen wird. Und dafür werden wir kämpfen. Die Zentralschweiz ist jetzt – nach über 50 Jahren – am Zug. Wir Luzernerinnen und Luzerner und wir Zentralschweizerinnen und Zentralschweizer müssen in Bern und der ganzen Schweiz klarmachen, dass wir an der Reihe sind, dass wir das Projekt brauchen. Denn ohne Durchgangsbahnhof können wir die Mobilität im Kanton und in der Zentralschweiz nicht mehr bewältigen.
Und wenn’s dann halt doch nicht klappt?
Manuela Jost: Es gibt keinen Plan B. Wir brauchen den Durchgangsbahnhof jetzt. Sollte 2026 oder 2027 nur eine Teilfinanzierung gesprochen werden, braucht es zumindest eine verbindliche Zusicherung, dass das restliche Geld im nächsten Ausbauschritt bewilligt wird. Unser Ziel bleibt, dass der Durchgangsbahnhof ab Anfang der 2030er-Jahre – allenfalls in Etappen – aber als Ganzes realisiert wird.